Die Globalisierung und Digitalisierung der Arbeitswelt eröffnet immer wieder neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit und Flexibilität. Ob hybride Arbeitsmodelle oder Remote Work – sowohl die Ansprüche der Mitarbeiter*innen als auch der tobende War for Talents führen zu neuen Herausforderungen für HR.
Gerade wenn es darum geht, Mitarbeiter*innen in anderen Ländern bzw. Märkten zu beschäftigen, stehen Unternehmen häufig vor einer Reihe an Problemen. Denn eigene Niederlassungen zu gründen ist zeitaufwendig und kostenintensiv. Ähnlich geht es ihnen mit attraktiven Talents, die aus verschiedensten Gründen nicht am Stammsitz oder in einer der internationalen Niederlassungen arbeiten können oder wollen. Um dieses Problem zu lösen, gibt es seit einiger Zeit das Employer-of-Record-Model.
Was sind Employer of Record?
Grob vereinfacht handelt es sich dabei um Anbieter und Agenturen, die für Unternehmen legal im Ausland Mitarbeiter*innen anstellen, ohne dass diese vor Ort eine Niederlassung gründen müssen.
Unsere HR Consultant Chantal Lui berät Kund*innen bei der Implementierung von Employer-of-Record-Kooperationen – von der Auswahl des Anbieters bis hin zur Implementierung. Im Interview erklärt sie, in welchen Fällen die Nutzung von Employer of Records (EOR) sinnvoll ist und was es dabei zu beachten gilt.
Was sind deiner Ansicht nach die Vorteile eines Employer of Record?
Chantal Lui (CL): Zuerst einmal ermöglichen es EORs Unternehmen, global schnell Mitarbeiter*innen einstellen zu können, ohne dafür eigene Tochtergesellschaften gründen zu müssen. Das ist gerade für schnell wachsende Unternehmen, beispielsweise Start-ups im Hypergrowth, sehr relevant.
Hinzukommt der branchenübergreifende Fachkräftemangel. Um Talents mit den passenden Skillsets und der relevanten Erfahrung zu finden, muss man häufig global suchen. Hat man sie dann gefunden, kann es beispielsweise sein, dass sich aufgrund gesetzlicher Regelungen der Visa- und Relocationprozess sehr komplex gestaltet.
Zumal viele Talents selbst bestimmen möchten, von wo aus sie arbeiten. Hat ein Unternehmen keine Entities in diesen Ländern, können häufig nur Freelance-Verträge geschlossen werden. Diese sind aber gerade mit Blick auf eine längere Beschäftigungszeit für Unternehmen und Talents nicht attraktiv. Zumal man hier auch hinsichtlich der Scheinselbstständigkeitsproblematik aufpassen muss.
Selbst wenn Lösungen dafür gefunden werden, wie Mitarbeiter*innen in einzelnen Ländern, in denen keine Tochtergesellschaften ansässig sind, beschäftigt werden können, bedeutet dies häufig einen sehr hohen Verwaltungsaufwand. Denn jedes Land hat eigene Sozialversicherungs- und Arbeitgeber- bzw. Arbeitnehmerregelungen, die individuell berücksichtigt werden müssen. Ganz abgesehen davon, dass die Lohnnebenkosten von Land zu Land stark variieren können.
Welche Aufgaben übernehmen EORs konkret?
CL: Employer of Records sind sozusagen die Arbeitgeber vor Ort, im rechtlichen Sinne. Die Mitarbeiter*innen sind bei ihnen angestellt. Im deutschen Sprachraum kann man dies mit Arbeitnehmerüberlassung vergleichen, was beispielsweise auch von Zeitarbeitsfirmen bekannt ist.
Mit Employer-of-Record-Anbietern lassen sich im Vorfeld die Vertragsbedingungen der Mitarbeiter*innen klären. Faktoren wie etwa Urlaubsanspruch, Elternzeit, bezahlte Krankheitstage, Compliance sowie andere Benefits, auf die Freelancer sonst verzichten müssten, lassen sich somit festhalten.
Für die Mitarbeiter*innen ändert sich dadurch nichts, abgesehen von der Firma, die sie anstellt. Sie sind Teil des Unternehmens, haben dieselben Ansprechpartner*innen wie alle anderen auch und können sich auf einheitliche Standards verlassen.
Für Unternehmen – und vor allem für deren HR-Abteilungen – ist ein Employer of Record vor allem ressourcenschonend. Die meisten Anbieter arbeiten mit digitalen Dashboards, sodass jederzeit Übersicht besteht. Zudem sind die Modelle in der Regel relativ flexibel.
Für wen lohnt sich ein Employer of Record?
CL: Das lässt sich nicht pauschal beantworten. Je nach Unternehmen und benötigter Fachkraft, kann es sich theoretisch schon bei eine*r Mitarbeiter*in mit sehr wichtigen Qualifikationen oder in einem sehr wichtigen Markt lohnen. Da EOR-Lösungen aber auch einen Kostenpunkt darstellen, muss konkret evaluiert werden, ab welcher Anzahl bzw. welchen Talents ein Unternehmen davon profitiert.
Die meisten Anbieter sind in zahlreichen Ländern vertreten und haben ein dynamisches Pricing, je nach Umfang der Leistung und Anzahl der beschäftigten Arbeitnehmer*innen. Für Unternehmen, die in mehreren Ländern, in denen sie selbst nicht ansässig sind, Beschäftigte anstellen möchten, kann sich das also schon recht schnell lohnen. Neben den direkten Kosten muss hier auch berechnet werden, welche Kosten dadurch eingespart werden. Etwa durch Kooperationen mit anderen Unternehmen, rechtliche Beratung, Money Transfer etc.
Auf was sollte man bei der Wahl eines Anbieters achten?
CL: Die Auswahl der Anbieter wächst derzeit. Das hat unter anderem auch damit zu tun, dass die Pandemie dieses Geschäftsmodell stark beflügelt hat. Der erste Anbieter dieser Art war Globalization Partners, die sind schon seit 2012 auf dem Markt und inzwischen sehr groß. Neuere Player sind beispielsweise Deel, Remote.Com, GP, Papaya, Oyster HR oder Velocity Global.
Das Pricing und die Modelle unterscheiden sich von Anbieter zu Anbieter. Meist gibt es unterschiedliche Tarife, je nachdem, ob man pro Monat oder Jahr abrechnen will. Auch Tier-Modelle sind gängig. Im Vorfeld sollte man sich genauer informieren, um zu prüfen, welcher Anbieter und welches Model konkret in Frage kommen könnten. Das kann man selbst machen oder mit Hilfe von HR Consultants wie Lisantix.
Viele Anbieter haben Beispielrechner auf ihren Websites, sodass sich schnell ein erster Überblick über die potentiellen Kosten der Employer-of-Record-Leistungen erhalten lässt. Einige berechnen auch einmalige Setup Fees oder regelmäßige Support Fees. Grundsätzlich würde ich eher zu Anbietern raten, die mit eigenen Entities vor Ort arbeiten. Es gibt auch Agenturen, die teilweise mit Drittanbietern arbeiten, aber da ist dann noch ein weiterer Stakeholder zwischengeschaltet, was im Fall von Unstimmigkeiten zu Komplikationen führen kann
Auch sollte im Vorfeld geklärt werden, welche Zusatzleistungen unterstützt werden können. Einige Unternehmen geben zum Beispiel Shares an ihre Mitarbeiter*innen heraus oder gestalten ihre Benefits individuell. Das ist aber nicht bei allen EOR-Anbietern vorgesehen bzw. möglich. Darüber hinaus gilt es zu klären, inwiefern sich Employer of Record Tools in bestehende HR-Systeme integrieren lassen.
Wie wird sich der Employer-of-Record-Market deines Erachtens weiter entwickeln?
CL: Spannende Frage. Derzeit sehen wir da ein recht starkes Wachstum, das – wie schon erwähnt – vor allem aus der Pandemie heraus entstanden ist. Angesichts des Fachkräftemangels, der Digitalisierung und der globalen Erfahrungen mit Remote Work und Home Office, werden Employer-of-Record-Modelle für Unternehmen immer relevanter werden. Wenn ich Zugriff auf einen größeren Fachkräftemarkt habe, ohne das Risiko, das mit einer eigenen Niederlassung einhergeht, kann mich das langfristig wettbewerbsfähiger machen.
Wichtig ist aber eines: EOR-Anbieter nehmen mir nicht das Recruiting ab. Ich muss also im Vorfeld meine Talents selbst finden, bzw. von Recruiter*innen akquirieren lassen. Employer of Records treten in Erscheinung, wenn es dann um die konkrete Anstellung geht.