Wofür steht eigentlich die Abkürzung HR? Eine scheinbar simple Frage, die wir uns nur selten stellen. Viel zu offensichtlich und klar scheint die Antwort. Ein schnell dahin gemurmeltes „Human Resources“ scheint genug der Erklärung. Doch bringt uns dies wirklich weiter?
1. Ein eindimensionaler Begriff
Human Resources ist als Begriff, der sich hinter dem Akronym HR verbirgt, erst einmal schwammig und unscharf. Wörtlich übersetzt handelt es sich um „menschliche Ressourcen“ bzw. „menschliche Mittel.“ Eine unangenehm unpersönliche, entindividualisierende Beschreibung der komplexen Arbeit derjenigen, die sich nicht zuletzt um das Betriebsklima kümmern.
Früher waren auch die Bezeichnungen Manpower und Human Capital im Umlauf. Damit wurde die Summe der Fähigkeiten sowie die Motivation der Mitarbeiter*innen bezeichnet. Hier offenbart sich noch stärker das Problem, das auch hinter der Abkürzung HR steckt: Angestellte werden auf ihre für ein Unternehmen relevanten Ressourcen reduziert und damit einer Verwertungslogik unterworfen. Ähnlich anderer Faktoren lassen sie sich akkumulieren, reduzieren oder transferieren.
Dabei verbirgt sich hinter der Abkürzung HR das Personalwesen bzw. die Personalabteilung. So weit, so gut, könnte man jetzt denken. Aber fassen diese Begriffe überhaupt das, was HR heutzutage umfasst? Und bieten sie genügend Identifikationspotenzial(e) für Recruiter*innen, Organisationspsycholog*innen, Back-Office-Manager*innen, HR Manager*innen oder HR Consultants?
2. Ist „Personal-” auch persönlich?
Personalabteilung, Personalwesen, Personalwirtschaft – die deutschen Äquivalente zu HR tragen zwar das „Personal“ im Namen, sind deswegen aber noch nicht näher am Menschen, nicht “persönlicher”. Hier steht “Personal” für die Ganzheit der Mitarbeiter*innen eines Unternehmens. Eine quantifizierte, aber nicht qualifizierte Masse, die im Singular benannt wird. Schwer, auf dieser Basis die Bedürfnisse von Einzelnen zu adressieren.
Der Begriff “Personalwesen” stammt aus der Betriebswirtschaft und bezeichnet dort den Bereich, der sich mit dem „Produktionsfaktor Arbeit“, dem Personal befasst. Als organisatorische Struktur ist er in jedem Unternehmen vorhanden, auch wenn es dort keine eigene Personalabteilung oder exklusiv dafür zuständige Mitarbeiter*innen gibt. Doch hat sich das, was man gemeinhin als Personalverwaltung versteht, in den letzten Jahren umfassend verändert.
3. Die Komplexität abbilden
Die Aufgabenbereiche von Personalabteilungen haben sich so sehr diversifiziert, dass der homogenisierende Stamm „personal-“ sie kaum noch abbilden kann. Recruiting, Mitarbeiter*innenentwicklung, Unternehmenskultur, Onboarding, Hybride Arbeitsmodelle, Administration, Organisationsdesign, digitalisierte HR-Abläufe, Employer Branding, Change Management – die Liste der Verantwortlichkeiten, die Teil des modernen Personalwesens sind, ist lang und komplex.
Gerade die anhaltende Pandemie hat uns allen gezeigt, wie vielfältig das ist, was sich hinter der Abkürzung HR verbirgt. Vor allem aber, wie menschenorientiert HR arbeitet. Doch wie lässt sich dies in einem Begriff abbilden und ist es sinnvoll? Und sollten wir uns überhaupt mit solchen Fragen aufhalten, anstatt in der Praxis das umzusetzen, was wir als unsere Aufgabe(n) begreifen?
4. Ein Begriff erzeugt Erwartungshaltungen und Grenzen
Ein verständlicher Einwand, dem man bei Diskussionen um sprachliche Feinheiten (bspw. dem Gendern) häufig begegnet. Hier lässt sich zum einen auf einen bekannten Ausspruch des österreichisch-britischen Philosophen Ludwig Wittgenstein aus dem frühen zwanzigsten Jahrhundert verweisen: „Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.“ Was nicht sprachlich ausgedrückt wird oder werden kann, ist meist nicht Teil unseres Bewusstseins; wir denken es selten mit.
Es gibt zahlreiche Studien, die belegen, wie stark Sprache unser Denken und unsere Wahrnehmung beeinflusst. Nun mögen wir unsere eigenen Aufgaben und die Aufgabengebiete unserer Kolleg*innen sehr gut kennen. Gerade in größeren Unternehmen oder Startups, die sehr schnell gewachsen sind, ist vielen Mitarbeiter*innen aber häufig nicht bewusst, was im HR neben dem Recruiting und der Administration passiert. Und damit auch, wie sie sich dort bei Problemen und Krisen Hilfe und Unterstützung suchen können.
5. Alternativen zu HR
In den letzten Jahren macht immer wieder die Bezeichnung „People & Culture“ die Runde. Sie dient vielen als Ersatz für HR oder zumindest als eine Art Konkretisierung. Was erst einmal stimmig klingen mag, kann schnell zu Missverständnissen führen. Zwar legt „People & Culture“ im Gegensatz zur Abkürzung HR den Fokus ganz klar auf die Mitarbeiter*innen als Menschen, anstelle von Ressourcen. Es kann allerdings der Anschein entstehen, dass die alleinige Verantwortung für die Unternehmenskultur bei HR-Abteilungen liegt. Dies würde die Unternehmensführung aus dem Blick nehmen, deren Handeln und Verhalten grundlegende Auswirkungen auf das Betriebsklima hat.
Anstelle von „People & Culture“ könnte daher „People & Organization“ treten. Dieser Titel ist nach wie vor mitarbeiter*innenorientiert und spiegelt gut wider, worum es im unternehmerischen Alltag geht. Zudem fungiert er über einen einladenderen Charakter als das HR-Akronym. Natürlich ist uns bewusst, dass ein etablierter Begriff nicht einfach ersetzt werden kann und dass es gute Gründe für dessen Beibehalt gibt. Vielmehr geht es darum, Transparenz für das zu schaffen, was sich hinter der Abkürzung HR verbirgt und deren vielfältigen Aspekten Rechnung zu tragen. People & Organization, Menschen und Organisation – damit kann jede*r etwas anfangen. Und damit können sich die meisten identifizieren.
6. Fazit: HR inklusiver denken
Ob man jetzt bei HR bleibt, eine andere Bezeichnung wählt oder beides verbindet, wird letztendlich jede*r für sich entscheiden. Ein Nachdenken über die Begriffe und Bezeichnungen unter deren Dach wir sozusagen arbeiten, ist aber in allen Fällen lohnenswert. Nicht zuletzt, um HR inklusiver und menschlicher zu denken.